Wolfgang Kahlkes Reiseberichte















Fotos: Alfred Czogalla und Wolfgang Kahlke

Alpen Tour 2022: Stilfserjoch & Umbrailpass (6. Juni 2022)

Der morgendliche Blick aus dem Fenster steigerte unsere gute Laune. Die Sonne schien von einem klaren Himmel an diesem Pfingstmontag. Die Vorfreude aber auch Nervosität waren groß, denn uns war klar, dass uns heute eine besondere Aufgabe erwartete. Mit dem Stilfserjoch stand einer der längsten und höchsten Alpenpässe auf unserem Programm. Er war das Hauptziel unserer Tour und sollte damit auch der Höhepunkt werden. Wir frühstückten erst mal gelassen mit dem Blick auf die tolle Terrasse der Pension, auf der unsere Sportgeräte vor dem gewaltigen Bergpanorama bereit standen. Um die große Aufgabe nicht unnötig zu erschweren, ließen wir die Rucksäcke und Backpacker in der Pension und hatten nur eine Windjacke für die Höhe eingepackt. Der Pass war ja erst vor einer Woche geöffnet und die letzten Minustemperaturen mit Schneetreiben, waren nur wenige Tage her. Bald rollten wir die eigentliche Zufahrtsstraße hinab ins Etschtal und erhaschten noch einen sehr schönen Blick auf Schluderns im Morgenlicht. Im Talboden angekommen nutzen wir bei der Fahrt durch Prad die Gelegenheit, unsere müden Muskeln etwas aufzuwärmen und zu lockern. Kurz hinter Prad am Suldenbach erreichten wir den offiziellen Anstieg in die beliebteste Variante mit 38 Kehren auf 25 Kilometern und durchschnittlich 7,5 % Steigung. Wir waren gespannt.

Wir gewöhnten uns an die Straße, die in einem engen Tal stetig anstieg. Es herrschte schon sehr ordentlicher Verkehr am frühen Morgen. Die Motorräder waren in der Mehrzahl, gefolgt von Autos und Fahrrädern mit und ohne elektrische Unterstützung. Mit den Kilometern fand ich immer besser meinen Rhythmus und behielt dabei die Pulswerte unter Kontrolle, die sich erfreulicherweise noch in moderaten Bereichen bewegten. Ab Gomagoi folgte die Straße nun dem Tirolerbach und auf etwa 1400 Höhenmetern durften wir die ersten 2 der 48 Kehren befahren. Kurze Zeit später erreichten wir mit Trafoi die letzte Ortschaft vor der Passhöhe (s. links oben). Hier legten wir eine erste kurze Verpflegungspause ein und bewunderten den herrlichen Blick (s. links) ins Trafoier-Tal hinter dem Hotel, das Gustav Thöni mit seinen Erfolgen als Olympiasieger und Weltmeister im Slalom und Riesenslalom aufbauen konnte. Dieses kleine Hochtal unterhalb des Ortlermassivs lud zu einer Wanderung ein, aber wir hatten an diesem Tag andere Ziele. Für uns sollte nun die Zeit der Kehren folgen. Wir verließen den Trafoi und wurden auf der Passstraße in den bewaldeten Hang des weißen Knott geführt. Jeder fuhr hier sein Tempo, man überholte und wurde überholt. Kehre über Kehre stapelten sich übereinander (s. links). Die Steigungsprozente blieben relativ konstant und bald saß auch der Rhythmus für die Kehren. In den Rechtskehren ging ich für einige Tritte aus dem Sattel, um schnell die hohe Steigung auf der Innenseite zu überwinden. Bei den Linkskehren bot sich je nach Verkehr die Möglichkeit in Ideallinie die Gegenfahrbahn leicht zu kreuzen, was einige Tritte Erholung fast ohne Last brachte. Am Restaurant weißer Knott stoppten fast alle Radfahrer, da hier eine kleine Quelle kühles, frisches Wasser spendete und man die Flaschen nachfüllen konnte. Zudem bot sich ein imposanter Blick auf das Ortlermassiv.

Ab hier fanden wir einen guten Rhythmus und mich persönlich beruhigte es, dass meine Pulswerte sich weiterhin im Bereich zwischen 130 und 140 Schlägen bewegten, ganz im Gegensatz zum Hahntennjoch zwei Tage zuvor. In bester Laune legte ich an der Franzenshöhe schon oberhalb von 2100 Höhenmetern eine Fotopause ein. Etwa die Hälfte der Kehren (s. links) hatten wir bis hierhin absolviert. Ab hier konnte ich plötzlich die Passhöhe sehen, sowie alle restlichen Kehren und war nun bester Dinge, dass auch dieser letzte Abschnitt gut machbar sein sollte. Wir atmeten noch mal tief durch und machten uns auf den Weg. Nun erreichte ich einen guten Flow und hatte nicht mehr das Bedürfnis noch eine Pause einzulegen. Die Euphorie wurde nach oben hin immer größer und ich spürte auch nicht bewusst die dünnere Luft. Vermutlich waren die zur Passhöhe hin etwas steigenden Pulswerte diesem Umstand geschuldet. Begeistert erreichte ich die auf 2758 Höhenmeter liegende Passhöhe. Ich stellte das Rad am höchsten Punkt ab und zog mir erst mal eine Windjacke über. Die Sonne knallte zwar von einem tiefblauen Himmel, aber es hatte hier nur etwa 14°C.

An einer der drei Würstl-Buden erstand ich ein extrabreites Wurstbrötchen mit Kraut und Senf. Ich suchte mir einen Sitzplatz mit Blick auf die letzte Rampe und den Ortler und genoss das wertvolle Teil in aller Ruhe. Um mich herum herrschte größte Betriebsamkeit, hunderte Menschen hielten sich hier auf, um den erfolgreichen Aufstieg zu zelebrieren und ein babylonisches Sprachengewirr zu erzeugen. Alfred kam in genau so guter Stimmung wie ich an. Er hatte schon sein gute Tat des Tages abgeleistet, als er dabei half einen umgestürzten Motorradfahrer zu befreien, der hilflos unter seinem Krad lag. Wir genossen ausgiebig die Atmosphäre und ließen uns für das "Gipfelfoto" ablichten.

Nach einem letzten Blick auf das unheimlich beeindruckende Hochgebirgs-Panorama machten wir uns auf die Abfahrt. Hierzu wählten wir mit der Route über den Umbrailpass ins Münstertal eine sehr empfehlenswerte Variante. Nach dem sehr betriebsamen Stilfserjoch fanden wir es nun angenehm verkehrsarm. Die Straße war recht schmal aber sehr gut asphaltiert. Der Abschnitt oberhalb der Baumgrenze erlaubte sehr zügiges Fahren. Im Wald wurde es dann sehr kurvenreich und eng, hier waren unsere Bremsen gefordert und für mich bedeutet es permanenten Unterlenkergriff. Alfred fuhr mit seinen zusätzlichen Oberlenkerbremsen lächelnd hinter mir her. Ich fühlte mich bald wie auf einer Carrera Bahn und blieb vorsichtig, unter anderem auch, da die Schweizer interessanterweise gänzlich auf Leitplanken verzichtet hatten. Bei Santa Maria hatten wir den Wald hinter uns und schossen dann relativ zügig durch das Schweizer Münstertal. Wir hielten in Müstair Ausschau nach einem Cafe, aber sahen nichts in der Richtung. Bald kam die Italienische Grenze in Sicht und uns blies nun ein kräftiger Wind entgegen. In Glurns steuerten wir den Marktplatz an und ergatterten einen schattigen Sitzplatz in einem Eiscafe. In entspannter Stimmung diskutierten wir schon mal die Erlebnisse und genossen wiederum die hohe Qualität der Südtiroler Eiskunst. Uns blieb danach nur noch die Anfahrt nach Schluderns und der finale Anstieg zu unserer Pension. Wir waren nun schlauer und benutzten die dafür vorgesehene Straße, die gar nicht so leicht zu finden war. Mit weniger Gepäck auf dem Rad, aber schon 1800 Höhenmetern in den Beinen, fiel es uns nicht gerade leicht, aber den letzten Anstieg des Tages schafften wir mit Routine. Frisch geduscht beendeten wir den Tag wieder stilecht auf dem Balkon mit dem Rest unserer Südtiroler Brotzeit.

Leistungsdaten
Karte mit Streckenverlauf
Grafik mit dem Höhenprofil
Bildergalerie der gesamten Tour

Tag 1 (Übersicht)
Tag 2 (Jungholz - Landeck)
Tag 3 (Landeck - Schluderns)
Tag 4 (Stilfserjoch - Umbrailpass)
Tag 5 (Schluderns - St. Leonhard)
Tag 6 (St. Leonhard - Matrei)
Tag 7 (Matrei - Mittenwald)
Tag 8 (Mittenwald - Jungholz)


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